SPORT: WIE WICHTIG IST DEHNEN?

Über kaum ein Thema im Sport wird dermaßen leidenschaftlich und kontrovers diskutiert. Dabei ist die Studienlage recht eindeutig und kann klare Antworten liefern. Ist Dehnen denn nun sinnvoll oder vertane Zeit? Statisch, Dynamisch, vor oder nach dem Sport? Schauen wir uns das doch einmal fix an!

 

Um es gleich einmal vorweg zu nehmen: Dehnen wurde und wird überbewertet. Man darf von den beliebten Flexibilitätsübungen keine Wunder erwarten.

Man lebt durch Dehnen nicht unbedingt länger, wird nicht unbedingt zum besseren Sportler, und erst recht nicht zum besseren Mensch, was man manchmal fast schon denken könnte, denn so leidenschaftlich und sektenhaft können die Meinungen dazu sein.

In den letzten Jahren gab es immer wieder viele, umfassende Studien zum Dehnen, was allerdings ein schwieriges Unterfangen ist, denn das Studiendesign festzulegen, ist eine Wissenschaft für sich. Es gibt ja nicht nur DAS Dehnen. Wir kennen viele verschiedene Formen des Dehnens, wir müssen die Umstände betrachten, ob vor, nach oder während des Sports gedehnt wurde, das Alter spielt eine wichtige Rolle, der Fitnesszustand des Körpers bedingt viele weitere Parameter.

Zu sagen: Dehnen ist für den Sportler unverzichtbar, ist ungefähr genauso unscharf, wie die Behauptung, dass alle Männer ölige Haut besäßen.

 

Noch etwas gleich vorweg: Wer das Dehnen mag, soll es tun! Flexibilität erlangen – und behalten – ist ein wichtiger Faktor der Dehnübungen. „Gelenkigkeit“, also Beweglichkeit (und noch genügend erhaltene Muskelmasse) macht das Leben leichter – sorgt für lange Zeit für eine bessere Lebensqualität.

Wer dazu Yoga praktizieren möchte: Gerne. Aber genauso zielführend sind zum Beispiel gut konzipierte Stretchingkurse oder das morgendliche/abendliche Dehnprogramm auf dem heimischen Teppich (wenn es zuvor fachmännisch angewiesen wurde). Yoga macht keine besseren Menschen aus uns, in seinen Einzelteilen gibt es das alles auch „bei uns“. Man kann aber klar sagen, dass man DAS Format wählen sollte, das zu einem passt. Körperlich und seelisch.

Übrigens ist Flexibilität nicht bis ins Unendliche steigerbar. Verschiedene Faktoren sorgen dafür, dass wir unterschiedlich beweglich und flexibel sind. Alternativen für weniger flexible Menschen sind in guten Yoga-und Stretching-Kursen unentbehrlich, denn wir sind alle unterschiedlich „gebaut“.

Genauso ist hypermobil zu sein nicht unbedingt vorteilhaft. Ist man wie ein „Schlangenmensch“ zu beweglich, kann das negative Auswirkungen zB. auf Gelenke haben, die eine gewisse Stabilität brauchen (zB. das Knie).

 

Was man heute sagen kann: Hauptaugenmerk liegt beim Dehnen, wie gesagt, auf Erlangen und Erhalten von körperlicher Flexibilität.

Verbesserung der sportlichen Leistung, Verletzungsprophylaxe, usw. sind für Freizeitsportler kaum relevant. Wenn überhaupt, durch sekundäre Faktoren, also Koinzidenzen.

Selbst der viel gepriesene schnellere Abtransport von „Schlackestoffen“ nach dem Training (zB. als „Muskelkaterprophylaxe“) aus der Muskulatur, oder die Beseitigung von Kontraktionsrückständen (zB. durch Rollen mit der „Black Roll“) nach anstrengenden sportlichen Einheiten, sind als nebensächlich anzusehen. Es gibt sogar Hinweise, dass das Ausrollen mit einer Rolle nach schwerem Training kontraproduktiv sein kann, da die Muskulatur zusätzlich zu den (gewollten) Trainingsschäden weitere Micro-Verletzungen erfährt, die die Regenerationszeit verlängern können (und nicht, wie gedacht, verkürzen).

Was den besseren Stoffwechsel und die verbesserte Durchblutung, das Aufwärmen in der Muskulatur angeht, darf man diese durchaus wohltuenden Effekte nicht dem Dehnen (also der Flexibilisierung) anrechnen, sondern nur ganz einfach den Bewegungen, die man beim Dehnen ausführt.

Man kann also sagen: Dehnende Bewegungen (also zB. ein ruhig-dynamisches-rhythmisches Mobilisieren aller Beweglichen Schichten und Strukturen, ist vor und nach dem Sport empfehlenswert, zur Lockerung, Durchsaftung, Stoffwechselaktivierung, Regeneration, usw.

Gedehnt wird nicht nur die Muskulatur, sondern auch in gewissem Umfang die anderen bindegewebigen Strukturen, die als Ganzes profitieren.

 

Macht Dehnen denn vor jeder Sportart Sinn?

Da sollte man die „Zielgruppe“ im Auge haben:

Bei sehr explosiven Sportarten, bei denen man schnell Sprinten und hoch Springen muss (also Leistung durch Federspannung), macht das Dehnen vorher keinen Sinn, die Muskulatur würde ihren (wichtigen) Tonus verlieren, also zu locker werden. Man läuft Gefahr verletzungsanfälliger zu werden.

Sinnvoll ist es jedoch bei allen Sportarten, die eine größere Bewegungsamplitude benötigen, wie zB. beim Kunstturnen, Ballett, oder aber auch beim weiten Werfen.

Wesentlich wichtiger ist aber in jedem Fall die jeweils passende Dehnmethode. BallettänzerInnen können durchaus auch auf statisches Dehnen vertrauen, dynamisch dehnt zB. der Fußball- oder Boxprofi gewinnbringender. Wobei man auch die eigenen Vorlieben berücksichtigen muss, die kommen nicht von ungefähr, der Körper weiß oftmals, was er braucht. Freizeitsportler können problemlos verschieden Dehnmethoden ausprobieren (also zB. statisch, dynamisch, aktiv, passiv, PNF, usw.), und nach Tagesform entscheiden.

 

Nach sehr intensivem Sport macht Dehnen übrigens so gut wie keinen Sinn, da man heute davon ausgeht, dass mögliche kleinste Verletzungen durchs Dehnen noch zum Schaden durchs Training addiert werden, was die Regeneration der entsprechenden Muskulatur verlangsamen würde, und es könnten schwerere Schäden provoziert werden.

 

Zukunft: Es gibt sehr vielversprechende erste Ansätze, die zeigen, dass Dehnen, oder womöglich besser: die Prozedur des Dehnens, die arterielle Steifigkeit verbessern kann. Also grob gesagt Herzerkrankungen vorbeugen kann. (Link zur Metastudie)

 

Fazit: Im Freizeitsport besitzt Dehnen einen Heiligenschein, der nicht verdient ist. Dehnen tut gut, kann die Lebensqualität verbessern, indem man bessere Flexibilität erreicht und behält. Aber man darf keine Wunder erwarten. Dehnen muss man lernen, es ist meist keine Sache für „mal eben zwischendurch“, besonders nicht, wenn man neben der Muskulatur auch die anderen Strukturen, wie zB. Sehnen, dehnen möchte.

Verletzungsprophylaxe ist kaum erwähnenswert, wenn es um das Dehnen geht, da kann man sogar zu viel des Guten tun. Bei schweren Sporteinheiten ist hinterher weniger mehr.

Bei Therapie und Spitzensport ist Dehnung gut und wichtig, da kann man sich sogar weiterführende Effekte erhoffen. Im Spitzensport zählen allerdings auch kleinste Maßeinheiten, die im Breitensport keinerlei Rolle spielen. In der Therapie wirkt Dehnung dann mitunter auch kurativ, da zum Beispiel bei muskulären Dysbalancen ausgleichend eingegriffen werden muss. So weit kann aber eigentlich kein Dehnprogramm für den Hausgebrauch gehen.

Dehnen tut gut, meist hat der Körper nach Anstrengungen das Bedürfnis nach Lockerung und Streckung. Dafür das normale Körpergefühl wieder zu entwickeln ist wichtig. Wichtiger, als einem starren Dehnprogramm folgen, das nicht auf die einzelnen spezifischen Bedürfnisse eingeht.

Wer dazu noch eine Übungsform findet, die man mit Spaß und Freude gerne regelmäßig ausführt, hat ein weiteres Mosaiksteinchen für höhere Lebensqualität hinzugewonnen. Morgen in der Früh, gleich nach dem Aufwachen damit anfangen: Im warmen Bett ausgiebig, weit und ausladend RÄKELN! Ein paar Minuten lang. Das tut gut.

 

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(Fotos: Pixabay, KK   Keinerlei Sponsoring. Vorschläge und Inspirationen, keine Heilung oder Therapie. Bei Fragen unbedingt Fachleute aufsuchen!)

 

 


10 Gedanken zu “SPORT: WIE WICHTIG IST DEHNEN?

  1. Ich finde, dass Dehnen ein ganz eigener Teil der Altersvorsorge ist und gleichauf mit Muskelaufbau, Ausdauer und Balancegefühl liegt. Je älter man wird, desto mehr merkt man, dass diese Beweglichkeit sich einschränkt, kleine Zerrungen dauern ewig, bis sie weg sind.
    Wir alle kennen Bilder der alten Menschen, die im Yogaposen Beweglichkeit wie in der Kindheit zeigen. Das ist nur durch viel Übung wiederzuerlangen. Ich finde das wichtig.

  2. Tolles Thema! Als Laie denkt man garnicht, wie vielschichtig das ist.
    Meinst du man kann nur mit Personal Trainer richtig dehnen?
    Suse

    1. Nein, einfaches Dehnen für den Hausgebrauch kann jeder. Vielleicht einmal zeigen lassen. Beim therapeutischen Dehnen und bei speziellen Aufgabenstellungen würde ich aber immer auf Fachleute setzen!
      Liebe Grüße
      KK

      1. Ich persönlich schwöre auf die Dehnübungen von Liebscher & Bracht, die ich allerdings von einem Therapeuten ausgewählt, erklärt und korrigiert bekomme.
        Nicht nur nach meinem Wirbelbruch (nach definiertem Zeitablauf) sind diese Übungen, am besten 10-15 Minuten täglich, mein Garant für einen schmerzfreien Rücken. (Den anderen Kram von Liebscher & Bracht wie Nahrungsergänzungsmittel etc. lehne ich allerdings ab)

        1. Liebscher und Bracht Übungen sind vollkommen ok, aber ich wehre mich dagegen, dass es Übungen „nach L&B“ sein sollen. Es handelt sich dabei um ganz normale, „handelsübliche“ therapeutische Dehnübungen und überhaupt nichts ist daran L&B exklusiv. Jeder gute Physio kann das, nur L&B „schreien“ ein wenig lauter und haben Bild-Zeitungs-Support.
          Therapeutisches Dehnen sollte immer (nach Erfolg) auch mit „Wohlfühldehnen“ kombiniert/gefolgt werden, weil das Ziel ja irgendwann erreicht ist, und die Übungen nun einen allgemeineren Charakter bekommen.
          Liebe Grüße
          KK

  3. Wie „durch Yoga wird man nicht zum besseren Menschen“? Wohl ! haha 😀 Beim „richtigen“ Yoga sind die Turnübungen ja nur ein kleiner Teil des grossen Ganzen, die spirituelle und geistige Weiterentwicklung steht ja eigentlich im Vordergrund. Angefangen mit ahimsa (Gewaltfreiheit in Taten und Gedanken) und satya (nicht Lügen).

    1. Klar, aber das gibt es ja auch alles „bei uns“ – hatte ich geschrieben. Der Vorteil vom Yoga ist bloß, dass alles zusammen kommt. Wir machen es west-style halt in „Modulen“. 😉
      Liebe Grüße
      KK

  4. Ja das stimmt, man kann das natürlich auch alles entzerren und manch Eine(r) mag lieber den west-style !

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