LIFESTYLE: ORGAS-MUSS? LET`S TALK ABOUT SEX

Das Tolle daran, wenn man langsam aber sicher älter wird, ist die wachsende Selbstsicherheit, und die Klarheit über Dinge, die man will, und (besonders) die man nicht will. Warum ist aber ausgerechnet das Thema Sexualität, und zwar in allen Farben und Schattierungen, immer noch so schambehaftet? Kann man da nicht mal Klartext reden? Orgas-MUSS? Nein Danke!

 

Sprechen wir doch mal frei und ungezwungen

Für viele von uns ist Sexualität ein Thema über das man ungern redet. Das passiert hinter verschlossenen Türen, und eigentlich geht es niemanden etwas an. Trotzdem kann da auch mal offen drüber geredet werden, doch ich werde hier bestimmt nicht ins Detail gehen, auch wenn es noch so modern zu sein scheint, pseudosexualisiert irgendwelche fragwürdigen Moralvorstellungen zu predigen.

Eigentlich haben wir es gar nicht nötig, so etwas wie „verklemmt“ zu sein, denn meist wächst mit dem Alter auch die Liebe zu sich selbst, das Einverständnis mit der eigenen Person, und dadurch auch mit dem Umfeld. Dazu gehören eben auch Partner*innen, und hierzu auch Sexualpartner*innen, in welchen Konstellationen auch immer. Wenn eine Sache klar ist: Sexualität und Orgasmusfähigkeit gehen uns im fortschreitenden Alter keinesfalls verloren. Viele berichten sogar vom Gegenteil! Von größerer Freiheit, vom Ausprobieren, von dem Gefühl, sich endlich gehenlassen zu können. Übrigens: Wenn dem nicht so ist, dann ist das auch vollständig ok, solange man sich selbst dazu entschieden hat.

 

Nun rede ich hier beileibe nicht vom Sex im wirklich fortgeschrittenen Greisenalter. Aber glaubt man jüngeren Generationen, ist bereits Sex ab 40 schon übelst peinlich. OK, das kennt man wohl auch so ein bisschen aus seiner eigenen Vergangenheit, wenn man sich kaum vorstellen konnte, dass die Eltern…cringyy!

Kommen wir aber zu unserer eigenen Situation zurück. Warum ist es immer noch so, dass viele von uns einem Bild der Sexualität nachlaufen, das alte, graue Männer vor ewigen Zeiten einmal geprägt haben? Und das beileibe nicht, um Spaß, Freude und Zufriedenheit für alle Beteiligten zu generieren, im Gegenteil! Warum halten wir daran fest, und geben es schlimmstenfalls sogar noch an jüngere Generationen weiter?

Warum viele Männer das tun, ist mir schon klar. Manchmal wissen sie es einfach nicht besser, und folgen stur dem Lemmingpfad. Männer sind selten Meister der Kommunikation und können auch mit Unsicherheit schlecht umgehen, haben Angst davor, als schwach wahrgenommen zu werden. Gerade hier eröffnet sich auch das Riesenreich der Missverständnisse zwischen (Sexual-)Partner*innen. Da bietet sich das Autofahrer-Bild an: Hat schon jemand jemals einen männlichen Autofahrer gesehen, der nach dem Weg fragt?

Viele Frauen sind sich dagegen ihrer Situation immer bewusster geworden, begehren schon seit längerer Zeit auf, haben mehr als die Männer die „Sexuelle Revolution“ durchlebt, erkämpfen sich (langsam und mühselig) mehr Platz in der (patriarchalen) Gesellschaft, nur in der Sexualität geht es trotzdem noch nach „Schema F“ zu?

 

Nur ein paar Beispiele, die überhaupt nicht peinlich besetzt sein sollten:

Immer noch wird zB. penetrativer Sex als das Non Plus Ultra angesehen. Dabei wissen die meisten sexuell aktiven Wesen, wie viele weitere (meist sogar zielführendere) Wege es zum Orgasmus gibt. Nur rein-raus zählt, alles sonst wird als „Vorspiel“ abgetan.

Traurig auch, dass zwar alle Welt weiß, dass der biologische Mann einen gewissen Zustand der Lust erreichen kann, der als sichtbares Zeichen für seine „Bereitschaft“ zu deuten ist (erkläre ich das nicht elegant, grins?). Das Pendant bei der biologischen Frau scheint aber kaum von Interesse zu sein. Auch die Vulva der biologischen Frau wird dann stärker durchblutet, die Harnröhrenöffnung schließt sich dadurch (wie beim Bio-Mann). Offensichtlich scheint das zweitrangig zu sein, und man wundert sich kaum noch, warum so viele Frauen an Harnwegsinfekten nach dem Sex leiden… Den Gedanken weiter zu spinnen macht fast schon traurig, denn es offenbart einen (immer noch) echt unguten Zustand unserer Gesellschaft mit dem Umgang der Sexualität und Akzeptanz der Gleichheit aller Geschlechter.

 

Alles steuert auf das Ziel, den Orgasmus, hin, was zwar natürlich und verständlich ist, aber im Laufe der Zeit auch einen veränderten Stellenwert einnehmen kann. Doch auch das erscheint vielen unwichtig.

Nur wenn die untrüglichen Zeichen des Orgasmus vorkommen, soll der Akt erfolgreich gewesen sein. Sowas führt dann ganz unweigerlich zu solchen Blüten wie gefakte Orgasmen und hohe Frustration.

Nur wenige Paare/Paarungen genießen den Weg dorthin, weil das Ziel (der vermeintliche „Sinn“) so furchtbar dominant im Vordergrund (wortwörtlich) steht. Kommunikation und realistische Erwartungen können es Paaren/Paarungen sehr leicht machen, mit den gegebenen Möglichkeiten lustvolle Spiele zu entwickeln, bei denen alle auf ihre Kosten kommen können. Aber echt Leute: Ihr müsst miteinander darüber reden!

Orgas-MUSS ist dumm. Warum kann man nicht auch einfach mal ALLES genießen? Warum sollte der Orgasmus immer noch so dominant im Vordergrund stehen? Klar, prima, aber ohne ist auch toll, denn dann hatte man trotzdem Berührung, Nähe, Intimität, Geborgenheit, Lust, Begierde, was auch immer…

Ich persönlich glaube, dass gerade dieses Jagen nach dem unbedingten Höhepunkt zum Absch(l)uss viel zu viel Leistungsdruck aufbaut, den wir im fortgeschrittenen Alter gar nicht mehr nötig haben. Und wenn man eben doch drauf steht…auch gut. Niemals ist diese abgedroschene Phrase „Alles kann, nichts muss“ richtiger als genau jetzt.

 

Akzeptieren, dass man nicht alleine ist

Gerade beim Sex haben wir aber so viele unterschiedliche unterdrückte Ängste. Dabei fühlen wir uns irgendwie alleingelassen von der Gesellschaft. Denn auch wenn wir womöglich mit dem Partner darüber reden können, so fehlt oftmals doch die Einsicht, dass es allen Menschen so geht. Unsicherheit ist DIE große Nummer bei der Nummer.

Und obwohl ich mich schon öfter mit diesem Thema auseinandergesetzt habe, bin auch ich nicht gefeit vor vielen falschen Vorstellungen und sogar Vorurteilen. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass Intersexualität überhaupt nicht „exotisch“ ist. Es gibt ähnlich viele Menschen, die beide Geschlechtsmerkmale tragen, wie es Zwillinge gibt. Diese Information hat mich so überrascht, und doch auch froh gemacht, denn egal wie wir gebaut sind, worauf wir stehen, was und wie wir fühlen, wir sind nicht allein. Es gibt immer noch ganz viele Menschen da draussen, die ähnlich oder genau so empfinden. Das sollte man sich immer wieder klar machen.

Es lohnt sich, dass man für seine Sexualität einsteht, egal in welchem Alter. Dass man den Mund aufmacht, damit andere sehen, dass man nicht alleine ist. Dass wir es nicht mehr nötig haben, verschüchtert mit der Masse zu gehen, sondern uns ausleben können, denn wir wissen wer wir sind und was wir brauchen. Und wenn nicht, dann ist es nie zu spät damit anzufangen.

Kommunikation ist meist der Schlüssel zum Glück, auch wenn man manchmal einfach die Klappe halten und genießen sollte…

 

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(Fotos: Pixabay   KeinerleiSponsoring)

 

 


8 Gedanken zu “LIFESTYLE: ORGAS-MUSS? LET`S TALK ABOUT SEX

  1. Wow, danke KK. Über dieses Thema zu reden bzw. zu schreiben ist so wichtig! Wir sind eine auf den ersten Blick übersexualisierte Gesellschaft, aber ich glaube, es besteht trotzdem ein Mangel an Intimität, deshalb fehlen oft die ehrlichen Gespräche und das sich Einlassen auf den Moment. Stattdessen kommt dieser ungesunde Leistungsdruck, eine allgemeine Vorstellung davon, wie es sein sollte und „Schema F“ übernimmt. Total kontraproduktiv, denn (meine These) guter Sex braucht Freiheit von Erwartungen, absolute Präsenz und die Fähigkeit, eigene Bedürfnisse zu spüren und zu kommunizieren, und zwar von beiden Partner*innen. Und ein sich Hingeben an den Moment, das Aufgeben von Kontrolle.
    Ich finde (subjektive Erfahrung) übrigens, dass in rein weiblichen Beziehungen diese Orgasmus-Jagd nicht im Fokus steht, vielleicht, weil die klassische Penetration „fehlt“. Trotzdem ist auch da die Bereitschaft zu Authentizität der Schlüssel, wie so oft im Leben.
    Danke für Deine Themenvielfalt. Ich wünsche Dir einen herrlichen Tag!

    1. Hallo Clover, deine Beschreibungen unterschreibe ich alle. In rein weiblichen Beziehungen möchte die Gesellschaft (und die Sextoyindustrie) ganz offensichtlich aber immer noch auf das „Normale“ pochen. Anders kann man sich nicht diese Massen an Gerätschaften zum (tiefen) Einführen erklären. Ob in der Hand oder zum Umschnallen, immer wird erwartet, dass das zwingend nötig sei. Ich schüttle da immer mit dem Kopf. Wahrscheinlich hat auch die Pornoindustrie viel kaputt gemacht.
      Liebe Grüße!
      KK

  2. Guten Morgen,
    ja, „sehr elegant erklärt“ :)).
    Bin ganz Deiner Meinung.
    Durch Erwartungsdruck an sich und andere, woher der
    auch kommen mag, kann Entspanntheit und Losgelöst
    nicht entstehen.
    lg
    sylvia

  3. Danke, lieber KK für diesen tollen und wuchtigen Post! Ich finde, im Gespräch bleiben ist gerade auch in „alten“Partnerschaften wichtig, da sich das Leben und auch die Wünsche ändern, kann es nur für beide Seiten erfüllend sein, wenn klar Kommuniziert wird.
    Liebe Grüße aus dem Norden
    Sibylle

  4. Vielen Dank für den tollen Beitrag. Ich stimme in allen Punkten zu. Für mich ist Sex im Laufe der Jahre intensiver geworden und ich mache nichts mehr, was ich eigentlich gar nicht mag. Früher habe ich meinem Partner zu Liebe Dinge ausprobiert, die ich nicht mochte. Kein Wunder, dass ich oft gar keine Lust auf Sex hatte.

  5. Also… Beim Sex mit anderen ist mir ein Orgasmus nicht so wichtig. Mit mir selbst schon…, darauf möchte ich auch nicht verzichten, denn ich berichte vom Gegenteil 😉 Bevor wir über Sex sprechen, ist es hilfreich, überhaupt eine entspannte Sprache für alle Körperteile und Körpervorgänge zu entdecken. Erfrischend direkt, witzig, respektvoll und höchst informativ z.B. der Podcast „Gyncast“ — alles aus der rein weiblichen Perspektive. Ich wünsche mir Nachahmer aus allen anderen Perspektiven!

  6. Großes Kino, darüber könnte man Bücher schreiben. Wie gut du die wichtigsten Aspekte zusammengefasst hats.
    Ein respektvoller Artikel, der das Nachdenken anregt. Sowas liebe ich bei KK. 🥰

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