Höher, schneller, weiter. Nur wenn es neu, teuer und makellos ist, verdient es Anerkennung. Und genauso verfahren wir mittlerweile in so gut wie allen Dingen unseres täglichen Lebens. Alles muss größer, schöner, toller sein. Urlaube, Autos, Brüste, Intellekt… Wirklich…?
Maximal oder minimal, Hauptsache optimal
Nur das Leben im Superlativ ist ein schönes Leben? Das könnte man fast schon meinen, schaut man sich mal aufmerksam um. Nein, nicht nur die teilweise peinliche Scheinwelt von Instagram gaukelt es uns vor, auch im normalen Leben werden wir ständig damit konfrontiert, dass nur größer, schöner und teurer zählt. Aber auch intelligenter, freundlicher, hilfsbereiter und emphatischer muss man sein. Nicht, dass wir uns nur mit Oberflächlichkeiten abgeben würden.
Und möchte man den entgegengesetzten Weg gehen, kann man, laut mancher Zeitgenossen, nur über maximalen Minimalismus sein Heil finden. Alles weggeben, alles ausmisten, total aussteigen, Essen sein lassen (also zumindest Dinner Cancelling). Durch das maximale Nichts zu meinem wahren Ich finden, optimal, maximal.
Aber hören wir uns beim Übertrumpfen noch selbst zu? Warum brauche ich eigentlich ein Deo mit 72 Stunden Rundumschutz, wenn ich eh mindestens alle 24 Stunden unter der Dusche stehe? Wozu ist eine Daunenjacke gut, die mich vor frostigen Minus 35 Grad und räudigen Bärenangriffen schützt, wenn ich damit eh nur in der Shopping-Mall flaniere? Wozu all die tonnenschweren und bullenstarken Autos, in denen meist nur eine einsame, mickrige Person sitzt? Im Stau.
Messbare Leistungsfähigkeit für Menschen und Dinge
Weil wir es können. Unsere Gesellschaft lebt nach dem Grundsatz, dass nur eine ständig wachsende Wirtschaft unseren Wohlstand sichert. Und nur Fortschritt ist akzeptabel. Stillstand bedeutet bereits Rückschritt. Ein Herzinfarkt ist demzufolge Gradmesser für maximalen Erfolg.
Leistungsfähigkeit ist das moderne Kriterium für anerkennungswürdige Verhältnisse. Für Verhalten, also Menschen, und auch Dinge. Die Leistungsgesellschaft hat den allgegenwärtig pushenden Leistungsgedanken auf sich perfektioniert, und auch auf die uns umgebenden Objekte ausgeweitet. Speicher nicht mehr unter einem Terabyte. Waschmaschine nicht unter 1500 Schleuderumdrehungen. Fernseher nicht unter 65 Zoll. Alles unter Abitur und Hochschulabschluss ist minderwertig. In der Freizeit wird nicht gefaulenzt, sondern man engagiert sich gefälligst. So optimiert man zudem sein Karma.
Makel sind unerwünscht – Austauschen hilft
Was in diesem Universum ganz schlecht kommt, sind (vermeintliche) Makel. Ein Sprung im Display. Ein Kratzer im Autolack. Ein Realschulabschluss. Eine Falte auf der Stirn.
Was ist heutzutage dazu der erste Gedanke? Wie kann ich das (am besten sofort) wieder ausbessern!
Neues Handy kaufen, Auto in die Lackiererei bringen, Abendstudium, Botox in die Stirn. So sehen die modernen Problemlösungen aus. Ausbessern – oder gleich völlig erneuern.
Gleich völlig erneuern? Wir erneuern uns von Natur aus fast ständig, aber wir heben diesen Vorgang mittlerweile auf ein neues Niveau. Wir ersetzen und erneuern was nur irgendwie vorstellbar ist, und ein Ende ist nicht in Sicht. Erneuere und verbessere ich mich und meine mir gehörenden Objekte nicht ständig, bekomme ich mittlerweile schon unweigerlich ein schlechtes Gewissen. Wie kann das sein? Das Überbordende „Zuviel“ ist zum Normativ geworden, und wir bekommen geradezu Entzugserscheinungen, wenn wir dem nicht mehr entsprechen? Gehen wir sogar so weit, bei den kleinsten Probleme auch Partner und Freunde auszuwechseln? Sind die Neuen nicht vielleicht sogar viel mehr instagrammable?
Kauf den braunen Apfel!
Man wird doch nicht zum Freak, wenn man sich mit „Normal“ zufrieden gibt. Immer mehr für mein Geld zu verlangen ist zwar verständlich, aber dafür muss ich das doch nicht gleich als Lebensmesslatte anlegen. Ich will kein schlechtes Gewissen, und ich möchte mich auch nicht schlecht fühlen, wenn ich mich irgendwann nicht mehr perfektionieren, erneuern und verbessern will.
Der schönste und reichste Lover bedeutet noch lange nicht die Liebe fürs Leben zu erleben. Und Makellosigkeit hat sich immer schon recht schnell als langweilig herausgestellt. Sich selbst und seine Umgebung auf Max zu trimmen, gehört gehörig hinterfragt, und ich will mich dem nicht ständig beugen. Ich kaufe auch Äpfel mit braunen Stellen, und ich liebe die Falten meines Partners. Alle! Ich will durchschnittlich sein, mit den mir gegebenen Talenten, die dann die echten kleinen Highlights meines persönlichen Lebens darstellen. Live to the MAX ist in meinen Augen in Wirklichkeit wohl doch nichts weiter, als schnöde Selbstüberschätzung.
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(Foto: Pixabay Keinerlei Sponsoring)
Guten Morgen und danke für diesen Text!! Genau deshalb lese ich den KK-Blog : wunderbar auf den Punkt gebracht, selbstkritisch, ironisch, unterhaltsam und dass ich mich häufig etwas „ertappt“ fühle, genau richtig. Ich möchte nicht dauernd bestätigt werden und in engen Kreisen denken! Das letzte Trendbarometer war auch einer dieser Texte, die mich hier auf dieser Seite besonders beeindrucken. Übrigens: Kosmetik interessiert mich nur am Rande und ich bin eher eine Konsumbettlerin, die Ihre Texte mag! Freundliche Grüße, Marie
Ich lese ab und an mal solche Gedanken, kann ihnen aber nicht wirklich folgen.
Ich halte mein Leben für relativ selbstbestimmt, soweit es mir möglich ist. (Da wäre z.B. der Umweltgedanke) Was die anderen machen, ist ihr Weg. Normal ist für jeden etwas anderes. Selbst Minimalismus, also die Unabhängigkeit von Konsumartikeln, ist für dich eine Ego-Geschichte.
Ich kann nicht mal deinen Gedanken auf Instagram folgen. Dort folgt man halt, was einen interessiert. Bei mir sind das Galerien, Theater, Tänzer, Schauspieler, Orte, Freunde. Ich bin selber Freundin schöner Bilder und erfreue mich am Angebot. Warum setzt es dich unter Druck? Andere finden deinen Blog dekadent, was kümmert es dich? 🙂 Ich hab neulich ein Buch einer 80Jährigen gelesen, die froh war, in der jetzigen Zeit zu leben, in der jeder aussuchen kann, wie er leben will und sich mit den Dingen umgeben, die er schön findet ohne das es ein enges gesellschaftliches Korsett gibt, das hier den Rahmen vorgibt. Die tauschen kann, was ihr nicht mehr gefällt, aber auch loslassen ohne das schlechte Gewissen, denn früher war jeder Kauf fast eine Entscheidung fürs Leben, wenn es dir nicht mehr gefiel, weil sich dein Geschmack entwickelt hat oder sich Familie und Leben geändert hat, hast du Pech gehabt. So was findest du wirklich gut? Kann ich mir nicht vorstellen. Du bist doch selbst auf der Jagd nach der immer passenderen Creme. Mit Nivea oder so zufrieden zu sein, ist nicht wirklich dein Ding und warum auch?
Das „Höher, scheller, weiter“ betrifft laut Neuromarketing nur 20% der Menschen, die überhaupt dafür sehr dafür empfänglich sind. Von den anderen hörst du aber schlicht – nichts. Die leben ihr schönes oder problematisches Leben für sich und äußern sich nicht. Du hörst eigentlich nur was von den Sendungsfreudigen, aber nicht von vielen anderen.
Die anderen machen es zu einem großen Teil aus Kommunikationsgründen: man sucht Gleichgesinnte auf dem Hobbygebiet. So geht es mir, dir ja auch, vermute ich. Und vielleicht findet ein Teil das erstrebenswert und sieht sich unter Druck gesetzt, nur: dann sollte er uns Maximalisierern auf unserem Gebiet (bei mir begrenzt sich inzwischen das eher auf Lippenstifte) nicht folgen. Ich mach das bei anderen auch nicht. Ich finde mein Leben zwar manchmal nicht ganz einfach, aber wunderbar, ich kann alles weglassen, was ich nicht brauche und haben, was mir was wert ist. Ich hab noch nie in einer besseren Zeit als der Jetzigen gelebt, wir machen die Welt auf aus dem engen Korsett des „was man macht“ der früheren Zeiten. Wenn wir alles essen, was uns schmeckt, werden wir zunehmen, wenn wir alles kaufen, was uns gefällt, die Bude zu voll stellen, wenn wir jedem Kontakt folgen, der sich anbietet, werden unsere Beziehungen flach werden. Ich stimme zu, dass die Auswahl sehr groß ist und es nicht immer einfach ist, abzuwählen. Das müssen wir noch immer aktiv. Das ist definitiv schwerer geworden.
Hallo Iridia, was hat denn „andere finden deinen (KK) Blog dekadent“ mit dem Thema zu tun? Das hatte KK doch gar nicht erwähnt? Das wirkt so gewollt eingeworfen. Soweit ich das beurteilen kann, schert sich KK nicht darum. Und wenn doch, dann sind wir doch alle etwas getroffen, wenn wir kritisiert werden.
Ab einem gewissen Alter ist es sicher einfach(er), sich äußeren Eindrücken, Vergleichen, Erwartungen zu entziehen. Ich befürchte aber, dass es sich für junge Menschen, die sich noch finden müssen, für die Zugehörigkeit zu Gruppen existenziell ist, schwieriger gestaltet. Die erliegen schon zunehmend der falschen Wahrnehmung, alle seien perfekt und hadern mit sich selbst, wenn sie dem Vergleich mit der Scheinwelt nicht Standhalten können. Wenn sich schon Teenager Schönheits-OPs wünschen, kotzen, bis sie dünn genug sind, ihr Leben für das ultimative Selfie riskieren, ohne Marken-Klamotten gemobbt werden usw. läuft da doch einiges aus dem Ruder!
Einen schönen Sonntag
Regina
Also ich kenne das leider auch aus dem Bekanntenkreis, und ich fühle mich auch selbst etwas ertappt.
Viele Ehepaare in meiner Umgebung protzen mit Autos und Kleidung. Jedes Jahr neu. Die Tochter muss im Ausland studieren, koste es was wolle.
Die Damen habe allesamt gemachte Brüste und Faltenunterspritzungen. Die Scheidungsrate ist hoch, der Austausch, wie du es nanntest, geht nur in Richtung jünger und straffer, bei den Frauen übrigens auch.
Über mich habe ich mich erschrocken, als ich mal im Supermarkt ausgerastet bin, weil es nur eine begrenzte Menge Obst und Gemüse gab. Ich habe das Personal angeschrien, und plötzlich schwante es mir, dass da was nicht stimmt.
Daher kann ich deine Fragen dazu gut nachvollziehen. Gut, dass du es nicht als gegeben darstellst, sondern Beobachtungen deinerseits auf den Prüfstand stellst und den Leser fragst ob das so ist, und wenn, ob es richtig sein kann.
Wer immer nur meint, total selbstbestimmt zu leben, lebt entweder hochprivilegiert oder unterschätzt sein Unterbewusstsein. Wäre es eine Minderheit, die so denkt, gäbe es das riesige Angebot ja nicht. Da würde sich schon alleine das Vorhalten gar nicht lohnen, aber es wird massenhaft angenommen.
Ich finde auch Minimalismus in Teilen egoistisch, denn dabei geht es immer nur darum, wie ICH mich besser fühlen kann. Ich finde es aber auch nich verwerflich. Besser als alle zwei Jahre neue Brüste. 🤪😂
Wunderschönen Sonntag!!
Liebe Frederique,
bzgl. Deiner Äußerung zum egoistischen Minimalismus habe ich eine ganz andere Wahrnehmung. Minimalismus führt sehr häufig zu mehr sozialem Austausch, zu mehr Miteinander, zu mehr Achtsamkeit gegenüber Anderen, also einerseits zu mehr Selbstfürsorge, aber dadurch auch zu Fremdfürsorge. Ausnahmen gibt es sicher, aber Deine Formulierung „dabei geht es immer nur darum, wie ICH mich besser fühlen kann“ ist nach meiner Wahrnehmung zu verallgemeinernd 🙂
Ich frage mich immer öfter, will ich das jetzt unbedingt, oder nicht? Oft lasse ich das Bestellen dann ausfallen, oder verschiebe es erstmal. Irgendwie ein gutes Gefühl… Und darum geht es mir ganz egoistisch- niemandem gefallen zu müssen, nur mir selbst bin ich am Ende Rechenschaft schuldig, ob ich ausreichend gelebt habe. Ob ich das nun schaffe, tja… Aber auch Glücklichsein darf nicht zum Zwang werden, egal ob man es durch Konsum, Maximieren, Minimieren, den eigenen Weg oder was auch immer anstrebt. Ich darf auch mal unzufrieden und unglücklich sein. Solang ich mir immer wieder vor Augen halte, dass ich ja doch auf recht hohem Niveau jammere ist alles gut. Kein Mensch kann dauernd Glück empfinden und keiner sollte dauernd schlecht drauf sein. Zwischen diesen Polen bewege ich mich. Ab und zu raus aus der Komfortzone und Neues erkunden, aber eben nicht zwanghaft. Für mich gilt immer, dass es keine absolute Wahrheit oder Perfektion gibt. Nicht immer ganz einfach, aber so bin ich halt😉
Du nennst es Live to the Max, ich nenne es Rattenrennen (das Wort habe ich vor Jahrzehnten von Bob Marley übernommen). Höher, schneller, weiter – wie in der Zigarettenreklame der 70er. Fand ich schon damals unsinnig.
Minimalismus wird problematisch, wenn er missionarisch und wertend daher kommt. Wenn mir jemand voller Freude erzählt, wie befreiend sein Ausmisten für ihn war, kann ich mich mit ihm freuen, auch wenn er episch wird. Wird hingegen explizit herausgearbeitet, wie toll man doch ist, das zu machen, verbunden mit der Frage, wie es denn bei mir diesbezüglich so aussieht, dann hebe ich innerlich den Mittelfinger.
Wettbewerb als Zeitgeist ist doof, wir sollten lieber einfach nur eine gute Zeit miteinander haben und das Andere anders sein lassen. Was ist normal? Was ist perfekt? Wer bestimmt das?
Ein nettes Liedchen zum Thema Perfektion: https://m.youtube.com/watch?v=0IHpyvK3ua0
Habt einen entspannten Sonntag!
Sagt man nicht auf Deutsch – wer rastet, rostet?
„Ich kann nicht mal deinen Gedanken auf Instagram folgen. Dort folgt man halt, was einen interessiert. Bei mir sind das Galerien, Theater, Tänzer, Schauspieler, Orte“
Dito. Ich habe dort Inhalte die mich inspirieren, aufbauen, informieren oder bespaßen. Sobald ich komischen Vibe empfange, weg damit. Ich fotografiere unheimlich gerne und gerade solche Apps die mir helfen täglich die Augen für meine offline Umwelt offen zu halten, helfen eigentlich meinem Work-Life-Balance. Sie helfen mir jeden Tag etwas schönes um mich herum wahrzunehmen.
„(bei mir begrenzt sich inzwischen das eher auf Lippenstifte)“
Ha,ha, bei mir auch!
“ bzgl. Deiner Äußerung zum egoistischen Minimalismus habe ich eine ganz andere Wahrnehmung. Minimalismus führt sehr häufig zu mehr sozialem Austausch, zu mehr Miteinander, zu mehr Achtsamkeit gegenüber Anderen“
Stimme ich zu. Je mehr ich Minimalismus lebe, desto besser kann ich mich aufs Wesentliche konzentrieren. Wesentlich sind für mich Menschen und Beziehungen. Menschen müllen deren Leben mit Sachen zu, unter anderem auch deshalb damit sie sich nicht mit Mitmenschen beschäftigen müssen.
Wie viele Nachbar haben sich gefreut als ich Hälfte meines Kellers verschenkt habe. Also hat ein Versuch minimalistischer zu leben gewissen Schmetterlingseffekt.
Selbstoptimierung? Ja. Gerne. Sogar täglich. Her damit!
Für mich bedeutet es jeden Tag gelassen zu leben, trotz Umstände! Die manchmal richtig grausam sind. Jeden Tag entspannt und dankbar sein.
Jeden Tag etwas kleines für meine Gesundheit tun und dabei Spaß haben.
Und ja das geht nur mit üben, üben, üben.
Über Nacht und durch bloße Entscheidung wird es nicht geschehen.
Aber Selbstoptimierung im Sinne erkennen was einem gut tut und dies umzusetzen – davon haben wir alle viel zu wenig.
„There’s a crack in everything, this is where the light gets in…“
treffend schön!
…auf den Punkt ( Leonhard Cohen)