Man ist so alt wie man sich fühlt, diesen Spruch kenne ich schon mein Leben lang. Als junger Mensch habe ich ihn verächtlich abgetan, heute weiss ich sehr wohl was gemeint ist. Aber was bedeutet das eigentlich tatsächlich?
Ich kenne viele Leute, die sich vorstellen, sie seien noch gar nicht so alt wie auf dem Papier. Doch wenn es um Verständnis für jüngere Generationen geht, dann höre ich von ihnen nur das übliche Schimpfen auf die Faulheit und Arroganz der Jugend.
Das ist immer der Moment in dem ich feststelle, dass nichts älter macht, als das Schimpfen über junge Leute. Und das kennt man ja bereits seit der Antike. Vom Verfall der Sitten klagen alte Steintafeln, Papyrusrollen und neuerdings auch die elektronischen Medien auf sämtlichen Kanälen.
.
Aber bitte. Jeder wie er möchte.
Trotzdem habe ich das Gefühl, viele Menschen „verlernen“ es, sich in junge Leute hineinzuversetzen.
Im Laufe des Lebens, in dem man glaubt irgendwann einmal erwachsen geworden zu sein, sind einige noch ein Stück weiter gegangen und wurden ziemlich verknöchert. Es passt kaum noch eine Kerze auf die Geburtstagstorte, aber Empathie kann ich nicht erkennen, wenn man den Jüngeren stets Faulheit und Ignoranz vorwirft.
.
In meinen Augen ist es das Vorrecht der Jugend alles in Frage zu stellen, was die Alten vor ihnen geschaffen haben, was sie angerichtet haben, was sie ihnen hinterlassen werden. Schliesslich müssen es immer wieder die kommenden Generationen ausbaden, was vorher passiert ist. Und sind wir mal ehrlich, da war auch schon ganz schön viel Mist dabei.
So richtig einsehen wollen wir Älteren ja nicht, dass man auch auf Augenhöhe mit den zukünftigen Generationen verhandeln könnte, was viel Druck von allen nehmen würde.
Wir fordern ständig Respekt für alles ein, ohne Rücksicht auf Verluste. Kritik wird persönlich genommen, und als Totschlagargument kommt dann eben doch die angebliche Faulheit, der ständige Drang zum Nichtstun, und die flegelhaften Umgangsformen und Ausdrucksweise.
.
Wir täten aber gut daran, dieses Generationenproblem gelassener anzugehen, denn Forschende haben erstaunliches herausfinden können: Sich jünger als sein tatsächliches Alter zu fühlen, hält fit und kann den Auswirkungen von Stress entgegenwirken. Personen, die sich angespannt und belastet fühlten, erlebten drei Jahre später mehr gesundheitliche Einschränkungen. Dieser Zusammenhang konnte aber durch ein gefühltes, jüngeres Alter verringert werden. Weiterhin stieg die schützende Wirkung mit zunehmendem Alter der befragten Personen an. Das bedeutet: Je älter man tatsächlich ist, desto eher hilft ein empfundenes, jüngeres Alter die Gesundheit vor den Auswirkungen von Stress zu bewahren.
.
Es ist also tatsächlich was dran am „gefühlten Alter“, was ich ebenfalls dahingehend interpretiere, dass man vor allem gelassener mit all den Dingen umgeht, die einen umgeben.
Ich muss mich doch nicht zwanghaft „erwachsen“ verhalten, nur weil es vernünftig erscheint. Solange ich meinen Verpflichtungen nachkomme, verantwortungsvoll für mich und andere handele, kann ich doch trotzdem Verständnis für die Lebenswelten anderer haben.
Nein, ich fahre keine Klimakleber einfach um, weil ich unter Zeitdruck stehe. Es ist zwar ärgerlich, aber noch ärgerlicher ist es, dass junge Menschen mit ansehen müssen, wie IHRE Probleme, z.B. eine katastrophal den Bach runtergehende Umwelt UND Wirtschaft von den Alten verharmlost werden.
.
„Die Probleme werden sich mit zukünftiger Technologie in den Griff bekommen lassen“ ist ein Schlag ins Gesicht, und da verliere ich dann die Gelassenheit und bekomme sofort Lust mich ebenfalls am nächsten Zebrastreifen festzukleben.
Rebellisch sein, sich auflehnen, sich nicht alles gefallen lassen, das macht auch jung von innen. Man hat sich doch nicht aufgegeben? Man hat doch noch Erwartungen, man möchte auch für die Zukunft etwas erstreiten. Jung sein im Alter hat auch etwas mit Elastizität zu tun, ich meine geistige Elastizität. Und wer die nicht besitzt, braucht in meinen Augen erst gar nicht mit Lifting, jugendlicher Kleidung und nem Sportwagen anfangen.
.
Ich persönlich nutze jede Möglichkeit der Zeitreise um nachzuspüren, wie ich damals gedacht und gefühlt habe.
Ich besitze alte Tagebücher mit viel eingeklebtem Krims Krams, der meine Person von damals widerspiegelt. Ich halte ständig Ausschau nach alten Parfüms, die die olfaktorische Zeitreise zu einem Erlebnis werden lassen können.
Was war das Grundelement des Empfindens damals? Ein aufkommendes Gefühl der Freiheit? Aus der Kinderzeit erwachen und sich abnabeln, das war Freiheit. Neues entdecken. Unendlicher Erkundungsdrang. Neue Menschen, neue Dinge, neue Länder, neue Sitten und Gebräuche….herrlich dieser Überfluss an Eindrücken, der nur darauf wartete von einem entdeckt zu werden.
.
Ich habe mir einen Wunsch erfüllt. Ich habe auch noch im fortgeschritteneren Alter meinen Entdeckertrieb in mir wach gehalten. Ich erobere gerade ein neues Land, eine neue Sprache, eine neue Kultur, und ich liebe es. Ich habe mich in den letzten Jahren nie so wach gefühlt.
Ich kann aber auch verstehen, wenn man sein Leben eben so wie es ist liebt, es nicht eintauschen möchte, die Familie, die Dinge, die man angeschafft hat. Die Frage ist nur, ob es bei diesem Stillstand bleibt, bis zum bitteren Ende, oder ob man dann doch wenigstens versucht andere Felder der Veränderung zu finden, die einen nicht heimlich, still und leise einfach resignieren (und alt) werden lassen?
.
Versteht mich nicht falsch. ich rede nicht davon, dass man dem Alter auf Ewig davonlaufen sollte. Aber wenn man sich nicht alt fühlt, ist es legitim so zu leben, wie man es sich vorstellt, und sich nicht dem Zwang ergibt wie ein „Erwachsener“ zu leben.
Ich möchte irgendwann einmal Danke sagen, dass ich das alles so lange geniessen konnte, wie es ging, ich mir nicht selbst im Weg stand, und nun ist es Zeit Platz zu machen, denn wir alle sind hier ja nur zu Gast.
Sich dabei jung zu fühlen kann einem niemand rauben – nur man sich selbst.
.
.
.
(Foto: Pixabay Keinerlei Sponsoring)
Das was du unter „sich jung fühlen“ beschreibst, hat für mich nicht mal was mit jung zu tun, sondern mit Lebendigkeit, vor allem geistiger. Klar ist das am Verbreitetsten in der Jugend, aber auch da gibt es trotz Jugend viele, die das nicht haben. Offen zu sein, wandelbar, die Welt und Menschen immer neu zu entdecken und vor allem sich selbst, empfinde ich immer als Lebensaufgabe, die vor allem einen selber glücklich macht und verstehen lernt. So jemand ist kein Meckerkopp.
Die Welt hat sich gewandelt wie sie es immer tut nur in unfassbarer Geschwindigkeit. Neues zu verarbeiten und sich darauf einzustellen gelingt auch, wenn man Menschen um sich hat oder sucht, die dafür offen sind, die vieles besser wissen und man das auch annehmen kann. Für mich ist geradezu ein Problem, dass Mode, Musikgeschmack usw. der Jugend zugeordnet werden, dabei ist es völlig neutral und für alle da. Ältere bleiben zwar oft bei dem, was sie in der Jugend liebengelernt haben, aber wenn nichts Neues dazu kommt konserviert man eigene Jugend – der Inbegriff des Alterns ist Stehenzubleiben. Was früher leicht gelang, wird schwerer, mitunter fehlt Naivität, die damals vieles leicht gemacht hat.
Körperliche Freiheit ist auch wichtig, aber auch hier sehe ich als Problem, dass Sport, Fitness und eine leicht bewegliche Figur der Jugend zuordnet werden. Das ändert sich zwar von Image her (das wäre ein eigenes Thema), aber in der Bevölkerung wird jemandem schnell „optisch jung sein zu wollen“ als einziger Grund unterstellt, was nicht mal verwerflich wäre. Dabei erhält man sich nur seine Möglichkeiten. Das ist nur eine Facette.
Alles was du schreibst, Konsumkaiser, ist für mich in jedem Alter möglich und es ist eine Entscheidung. Man kann immer neu anfangen, Jugend zu verstehen, Klimakleber, die bessere Balance von Arbeit und Privatleben in Zeiten der Milliardäre usw. Ich beschäftige mich gerade relativ neu mit allen Facetten mit Südkorea (K-Pop, -Drama, Kochen, Kosmetik, internationale Beziehungen…). Ein interessanter Gedanke deren Gesellschaft passt gut zum Thema: die älteren beiden Generationen haben das Land zu großer Blüte gemacht – nach dem Krieg wurde die Gesellschaft neu aufgebaut. Von den Jüngeren wird dieselbe harte Arbeit erwartet, ohne, dass sie die Chance haben, dafür dasselbe Ergebnis zu erreichen. Entweder zerbrechen die am Widerspruch von Anspruch und Wirklichkeit und begehen Selbstmord (eine der höchsten Selbstmordraten der Welt in einem hochentwickeltem Land) oder sie werden ihre Balance finden müssen und die Alten damit ärgern, die ihre „Jugend ist faul“-Sprüche klopft. Ich sehe da Parallelen zum Hier bei uns. Die Welt hat sich verändert und damit auch der Platz darin.
Dieses Verbohrtsein ist es, die es der Jugend das Leben schwer macht – ohne was daran zu ändern. Das war schon bei uns früher so. Wir wären jetzt dran, was daran ändern zu können, jeder allein für sich und damit auch Hoffnung zu sein, dass Alter nicht ein Synomym für Ablehnung bleibt. Das übrigens sehe ich als das eigentliche Problem des Images des Alten und des Aussortierens aus der Relevanz.
Guten Morgen,
für mich gibt es genausowenig die „die Alten“ oder „die Jugend“, wie es „die Autofahrer“, „die Reiter“ oder „die Polizei“ gibt. Auch ist die Jugend nicht fauler, sondern völlig anders sozialisiert wie „wir Boomer“. Wir mussten um alles kämpfen, als ich auf den Arbeitsmarkt kam, kamen auf absolut alles ca. 300 Bewerber/Stelle. Da wurde genommen was man bekommen hat und war glücklich zu den Auserwählten zu zählen. Ich habe mich schon immer gerne mit Jugendlichen umgeben, das hält jung. Immer dem gekichere hinterher. Da hat man aber im Reitstall auch jede Menge Gelegenheit dazu. Wer hat noch Kontakt zur Jugend, wenn die Kinder aus dem Haus sind? Ich spiele immer noch mit den Katzen fangen und Wettrennen, was ich regelmäßig verliere. Pferden bringe ich Fussball bei und kaufe mir Triops City. Als Erwachsener denkt man einfach zu viel. Früher habe ich aus dem Handgelenk Sachen gemacht, wo ich heute überlege ob das auch nicht schief gehen kann. Dann kommen gesundheitliche Einschränkungen, Pflegefälle in der Familie etc. hinzu und schon gehts los.
Für Klimakleber habe ich Verständnis, es kann ja auch keiner eine Alternative aufzeigen w a a die tuen sollen um Gehör zu finden. Keinerlei Verständnis habe ich dafür, wenn Kunstwerke zerstört werden. Das ist unwiderbringliche Kultur und hat nichts mit Klima zu tun. Nach den 68 ern hatte man es doch nur noch mit angepassten Lemmingen zu tun. Das ist das Schreckliche. Da wurde sich nur noch mit dem nächsten Urlaub beschäftigt. Ich hatte neulich Foto`s von koreanischem Militär. Fragt mich ein Erwachsener ob das Japaner wären, wegen der Flagge……sprachlos.
Allen einen schönen Sonntag!
Liebe Christiane,
deinem Beitrag kann ich mich absolut anschließen. Was alt macht ist Nörgeln, Desinteresse und Intoleranz, das macht auch Faltenfreiheit und Körperkult nicht wett. Es gibt Langweiler und Weltoffene in jeder Altersstufe. Wir haben einen Neuzugang im Stall, der mit 70 noch angefangen hat reiten zu lernen und das richtig gut macht. Toll ist nicht nur, dass er körperlich dabei ist, sondern auch bereit, auf eine 25 jährige Reitlehrerin zu hören. Dabei sein, mitmachen, auch von Jüngeren was dazu lernen, das ist für mich Jugend im Geiste. Es muss nicht spektakulär sein und man muss nicht sein ganzes Leben umkrempeln, aber niemals aufhören, neugierig zu sein.
Grüße Daniela
Ein ganz ganz toller Text. Wenn ich Teenies sehe, denke ich mir: „Wir waren genauso.“ Denn es stimmt.
Kürzlich hat eine junge TikTokerin (wenn ich das recht erinnere) ein Video gepostet, in dem sie verzweifelt fragt, wie man denn bei einem 9-to-5-Job überhaupt noch Zeit für irgendwelche Hobbys o.ä. haben soll. Die Leute im Internet haben sich gegenseitig darüber zerrissen. Ich denke mir, ist doch klar, sich diese Frage zu stellen, wenn man seine erste Vollzeitstelle antritt. Wenn ich mal kurz davor bin, jemanden dafür zu verurteilen, dass er oder sie etwas nicht weiß, sage ich mir, dass das keinen Sinn hat. Denn die Person weiß es ja nicht absichtlich nicht.
Viele Grüße 🙂
Ich habe auch erst kurz geschluckt, aber im Endeffekt hat sie doch recht. Wir müssen uns ja tatsächlich über neue Formen der Arbeit Gedanken machen. 8 Stunden und mehr am Stück ist unzeitgemäß. Konzentration, Körper, usw. rebellieren dann eh schon. Wir wissen heute so viel, setzen aber nur einen Bruchteil im realen Leben um.
Liebe Grüße
KK
Ach KK, endlich mal jemand mit Herz für Klimakleber. In meinem Umfeld bin ich die einzige mit Verständnis dafür, sonst nur Gejammer, auch von den Jungen. Stünde ich je mit meinem fetten Geländewagen vor ihnen würde ich Erfrischungsdrinks und Stärkungshäppchen anbieten und auf Wunsch erklären, wie ich meine Karre mit meinem Umweltgewissen klar kriege.
Was du Elastizität nennst ist wohl das, was ich mit Flexibilität meine. Geistige Beweglichkeit, Neugierde, Interesse. In meinen Wechseljahren bekam ich echt die Krise. Alle alten Menschen nur unzufrieden am Meckern, ist das meine Zukunft? Ich suchte aktiv nach anderen Alten, wenig Erfolg. Und dann ausgerechnet mein Onkel im 10. Lebensjahrzehnt. Wenn er über seine Leidenschaft, das Bahnwesen, sprach klang er wie ein schwärmender Teenie, leidenschaftlich bewegt. Er hat als Rentner noch alle Bahnstrecken Deutschlands bereist, kennt alle Sonderlösungen und Spezialitäten aus persönlicher Anschauung, ein richtiger Freak. Noch Ü90 führte er Gruppen zur Analyse von Istzustand und möglicher Verbesserung von Bahnhöfen. Mein Vorbild, zum Glück habe auch ich leidenschaftliche Interessen, bin neugierig, liegt wohl in der Familie. Kosmetik ist übrigens nur Interesse, Anflüge von Leidenschaft habe ich höchstens für Perlen aus dem Budgetbereich😉
Bei meinen etwa gleichaltrigen Nachbarn höre ich immer Musik aus den 60er -80ern. Hey, das Leben ist zu kurz um immer die gleiche Musik zu hören, die man sowieso auswendig kann. Aber Jammern, daß man ja nichts mehr sagen darf, und dieses Gendergedöns usw. Leben fett wie Made im Speck und können es nicht genießen. Mein Verdacht: da lief was in der Jugend falsch, die haben sich damals nicht ausgetobt. Wer selbst eine Jugend gelebt hat weiß doch noch, wie das so war. Und schmunzelt bei jugendlichem Verhalten.😊
Lustig, genau über sowas habe ich auch letztens nachgedacht. Ich finde auch dass man sich in jedem Alter jung fühlen kann. aber wie Du schreibst, meckern macht alt! Und Falten auch noch! 🙂
Verbohrtsein und Intoleranz macht einem in jedem Alter Probleme, und ich habe mittlerweile so viel Erfahrung, dass ich sagen kann, das dies echt nicht vom Alter abhängt.
Ich habe durchaus kein Interesse daran, der jüngeren Generation ‚Platz zu machen‘ – sollen die sich doch einfach dazustellen, so wie ich mich manchmal dazustelle.
Was mir mal passiert ist: auf einem Riesenrave mit 1 Mio. Leuten vor ca. fünf Jahren wurde ausgerechnet ich wegen meines Alters echt blöd angemacht. Die meisten waren wirklich höchstens 25 – ich eben mit zwei Jahrzehnten mehr (auch wenn es wohl nach weniger aussah, aber Hauptsache über 35…😉). Die ersten Technoleute sind noch einmal zwanzig Jahre älter als ich.
Dabei sah ich echt gut aus – mit Spaß an der Sache, gut trainierter Körper, richtig gutes und stylishes Outfit, mit dem du stundenlang durchhältst, und nicht so ein Faschingstralala; aber auch das muss es geben, die Dinge entwickeln sich ja.
Dabei wollte ich bis ins höhere Alter mitmachen; aber nun werde ich mir das zwei Mal überlegen, denn diese Verhöhnung hat echt weh getan.
Ich werde mich da wohl nicht mehr alleine hintrauen; später, als meine (jüngere!) Truppe eintraf, ging es nämlich und es wurde sehr schön.